Die Welt ist ein Fischerdorf

Wie zwei Journalisten in Bonyere den gleichen Weg gehen…

Ich war noch nie in Bonyere. Die Fahrt von Accra in dieses Dorf dauert mindestens fünf Stunden. Diesen Weg hat im vergangenen Jahr der NZZ-Afrikakorrespondent unter die Achsen genommen, um über Ghanas kommenden Ölreichtum zu berichten. Vor kurzem folgte ihm offenbar W.D., Journalist in Kapstadt (Handelsblatt, Finanz und Wirtschaft), und traf auf die exakt gleiche Szenerie. Der Vergleich:

NZZ, 6.11.2010, S. 11.

(M.H., Accra)

Wäre die Erdölindustrie Ghanas eine Eisenbahn, so würde man sie kommen hören, wenn man in Bonyere das Ohr auf den Erdboden legte. Das Fischerdorf im äussersten Südwesten des Landes, nahe der Grenze zu Côte d’Ivoire, macht einen schläfrigen Eindruck.

Hinter dem weissen Strand liegt ein Friedhof mit Grabsteinen, deren Namen von Hand eingraviert wurden und die schief und verwittert im Sand stehen.

In einem Wald von Kokospalmen haben die Bauern Cassava-Felder angelegt. (…)

Niemand weiss, was aus Bonyere noch alles wird. Vor drei Jahren entdeckten britische und amerikanische Explorationsfirmen 60 Kilometer vor der Küste Erdölvorkommen von kommerziell nutzbarem Umfang.

(Text online)

FuW, 3.8.2011, S. 61.

(W.D., Kapstadt)

Bonyere ist eine afrikanische Idylle wie aus dem Bilderbuch: Irgendwann scheint die Zeit in dem Fischerdorf im Südwesten von Ghana stehen geblieben zu sein.

Gleich hinter dem Strand liegt ein Friedhof mit verwitterten Grabsteinen.

Und etwas weiter im Inland jäten Bauern ein Maniokfeld, das mitten in einem Hain aus Kokospalmen liegt.

Seit kurzem hat jedoch auch in Bonyere die Moderne Einzug gehalten: Vor drei Jahren wurden hier rund 50 km vor der Küste kommerziell nutzbare Erdölvorkommen entdeckt und in Rekordzeit erschlossen.

(Text nicht online, Link führt zur  gekürzten Variante aus dem Handelsblatt)

Wie gesagt, ich war noch nie in Bonyere. Das Dorf ist so abgelegen, dass in den letzten Monaten die beiden Herren scheinbar die einzigen deutschsprachigen Journalisten vor Ort waren.

Oder?

Nachtrag 3.8.2011: Kollege W.D. schreibt auf Anfrage, dass er im April in Ghana gewesen sei, im Rahmen einer organisierten Reise zu  zwei Kakaoplantagen, «die auch die Ölindustrie einschloss. Der Einstieg war eigentlich länger aber wurde, wie das ganze Stück, stärker gekürzt. Und ja, der Text des Kollegen war mir bekannt und Teil meiner Notizen.»

Nachtrag 5.8.2011: Ich habe meinen Text leicht anonymisiert, um Google-Suchen nach Kollege W.D. nicht direkt hierhin führen zu lassen.

5 Antworten auf „Die Welt ist ein Fischerdorf“

  1. …die Zeit scheint stehen geblieben zu sein… ….vor drei Jahren…
    In der Tat, mindestens ein Jahr lang.

    Gruss aus der CH (Serwila verdaut?)

  2. Eine Erläuterung von meiner Seite: Ich halte es für fragwürdig, lieber Herr Burri, dass Sie einen Blog zu meinem Artikeleinstieg in das Ghanastück schreiben – und erst nach der Veröffentlichung des Blogs meine Sicht der Dinge einholen (ich antwortete sofort). Ich mache so etwas für gewöhnlich anders herum – erst wird der Betroffene gefragt und dann geschrieben.
    Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass HB oder FuW den besagten Artikel mit der Ortsmarke „Bonyere“ versehen hätten. Im Gegenteil: Wegen der zeitlichen Differenz zu meiner Reise stand über beiden Stücken nicht einmal „Kumasi“ sogar die Ortsmarke meines Büros in „Kapstadt“. Keinem Leser wurden also falsche Umstände vorgegaukelt. Wenn in einem Artikel ein von einem (geschätzten und als glaubwürdig empfundenen) Kollegen bereister Ort als typisch für die gegenwärtige Lage an der Küste mit zwei Sätzen erwähnt wird (um die dortige Situation mit der draussen im Meer aktiven Ölindustrie zu kontrastieren), sehe ich darin kein Problem. Viele Journalisten erfinden heute einfach Orte und Szenerien, andere beamen sich mit google earth an Punkte – und behaupten dann, genau dort gewesen zu sein. Das ist unethisch.
    Ich hingegen habe auf zwei völlig banale Beobachtungen zurückgegriffen (Friedhof, Manniokfeld), deren Vorhandensein verifiziert ist (und sicherlich auch heute noch zutrifft) – und finde es schon reichlich merkwürdig, dass Sie sich derart daran aufhängen und zumindest versteckt Plagiat rufen. Wenn Sie im Rahmen einer Recherche noch nie irgendein banales Fakt aus einem anderen Artikel übernommen haben, müssen Sie ein ungemein kreativer und weitgereister Kopf sein. WD

  3. Auch ich arbeite als Journalist jeweils so, dass ich ein Stück fertigstelle, nachdem ich alle möglichen Stellungnahmen eingeholt habe. Für den Blog hingegen finde ich meine Vorgehensweise nicht unethisch, da ich ja dann auch Ihren Standpunkt, Herr Kollege, unverfälscht und unkommentiert wiedergegeben habe.

    Ich habe bewusst nie „Plagiat“ geschrien und versucht, meinen Blogartikel in humorvoller (oder zumindest nicht anklagender) Art zu halten.

    Die Diskussion, was man beschreiben darf, obwohl man es nicht gesehen hat, wurde schon oft geführt. (Siehe die Kontroverse um Horst Seehofers Keller.) Ich nehme mir nicht heraus, abschliessend zu urteilen, wo die Grenze zwischen ethisch und unethisch ist.
    Was gewisse Kollegen tun, kann ich ebenfalls nicht beurteilen. Ich selbst versuche, solche Situationen tunlichst zu vermeiden. Aber natürlich gibt es eine grosse Grauzone zwischen Realität und Fiktion.

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