Wenn zwei Bullen kämpfen, leidet das Gras

Exponenten verschiedener Polit-Eliten stehen sich in Kenia unversöhnlich gegenüber. Wie das Land wieder zu einem friedlichen Alltag findet, ist offen.
 
Die Stimmung in Kenia ist angespannt. Es kommt vor, dass in einem Restaurant jemand während eines Gesprächs über Politik den Tisch wechselt, weil die Leute am Nebentisch zuhören könnten. Kindermädchen unterbrechen das Spiel mit ihren Zöglingen, um sich gegenseitig vorzuhalten, was die jeweils andere Ethnie falsch mache. Und auf dem politischen Parkett will die Opposition ihren Anführer eigenhändig zum Präsidenten einschwören, was Regierungspolitiker als Hochverrat bezeichnen.
 
 

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Präsident Uhuru Kenyatta und Oppositionsführer Raila Odinga stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Wiederholung der Präsidentschaftswahl, angeordnet vom Obersten Gericht, wurde zuerst als Stärke einer unabhängigen Justiz gedeutet. Hinter den Kulissen aber erhöhten Politiker beider Seiten den Druck auf das Gericht und die Wahlkommission. Das Auto einer Richterin wurde beschossen, ein Mitglied der Wahlkommission flüchtete ins Ausland. Die Wiederholung geriet zur Farce, weil sie von Odinga mit seiner Nasa-Koalition boykottiert wurde. In den Nasa-Provinzen blieb das Wahlmaterial unbenutzt liegen. Kenyatta gewann mit 98 Prozent aller Stimmen. Freie und faire Wahlen sehen anders aus.
 
Ethnisch dominierte Politik
Ein swahilisches Sprichwort lautet: «Wenn zwei Bullen kämpfen, leidet das Gras.» Die politischen Alphatiere des Landes lassen sich in Landcruisern herumchauffieren. Sie winken aus den Dachfenstern dem Fussvolk zu und schaukeln es mit flammenden Reden auf. Leidtragende sind die vielen Kenianerinnen und Kenianer, welche durch die politischen Auseinandersetzungen ihre Arbeit, ihr Hab und Gut oder gar ihr Leben verloren haben. Gegen 100 Tote gab es im Umfeld der Präsidentschaftswahl. Demonstranten wurden von der Polizei getötet, doch auch die ethnischen Spannungen haben nach der Wahl wieder zugenommen.
 
Im Stammesdenken liegt die Basis des Konflikts. Präsident Kenyatta, ein Kikuyu, hat sich in der Jubilee-Partei mit William Ruto von der Ethnie der Kalenjin zusammengetan, um seine Macht zu sichern. Vizepräsident Ruto gilt als Thronfolger Kenyattas, obwohl er wegen Korruptionsskandalen einen schlechten Ruf geniesst. Doch das kümmert die Kalenjin und Kikuyu nicht, denn sie profitieren vom Klientelismus. Derzeit wird in Kenya ganz selbstverständlich darüber diskutiert, wie der Präsident all seinen Unterstützern einen guten Posten verschaffen kann. Die Wahlverlierer hingegen fühlen sich von der Zentralregierung vernachlässigt. Die Strassen in regierungstreuen Provinzen hätten weniger Schlaglöcher, monieren sie. Die Regionen der oppositionellen Luo, Luhya und Kamba liegen wirtschaftlich zurück.
 
Mehr Macht für Provinzen
Die Lösung für Kenias Probleme heisst «Devolution» – zumindest in den Augen westlicher Geldgeber. Die Dezentralisierung der Macht und mehr Kompetenzen für die Provinzen sollen das ostafrikanische Land vorwärtsbringen. Der Föderalismus ist in der Verfassung von 2010 festgeschrieben. Erhalten die Regionen mehr Selbstverantwortung, so die Hoffnung, werden sie politische und wirtschaftliche Probleme effektiver anpacken. Doch damit wird zwar das Selbstbewusstsein der Regionen gestärkt, die tiefen Gräben im Land werden aber kaum zugeschüttet.
 
Dafür müssten Kenias Politiker zuerst einmal den konstanten Wahlkampfmodus beenden. Raila Odingas Rufe nach gerechten Wahlen sind berechtigt. Doch die Methoden der Opposition sind zweifelhaft. Zuerst ruft Odinga zum Boykott von regierungsnahen Firmen auf, dann wollen sich die von der Opposition kontrollierten Provinzen abspalten. Das findet selbst im zerstrittenen Kenia keine Mehrheit. Ein aktueller Vorschlag der Nasa-Opposition sind Volksversammlungen unter Einbezug von Kirchen und der Zivilgesellschaft. Was nach einer guten Idee klingt, wird durch den Plan einer Einschwörung Odingas zum «Präsidenten des Volkes» wieder torpediert.
 
Was die Lage in Kenia beruhigen könnte, wäre eine florierende Wirtschaft, von der alle profitierten. Doch das ist für den Präsidenten des schuldengeplagten Landes eine Herkulesaufgabe. Weiterhin dreht sich die kenianische Politik vorab um Personen, nicht um Inhalte. Solange der destruktive Machtkampf zwischen den hohen Tieren in Regierung und Opposition anhält, wird Kenia nicht weiterkommen.
 
Dieser Artikel erschien am 22. Dezember 2017 in der Neuen Zürcher Zeitung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.