Äthiopien sucht einen starken Mann, der das Land mit sanfter Hand aus der Krise führt

Die Regierungspartei des Vielvölkerstaats am Horn von Afrika sucht einen neuen Staatsführer. Dieser muss eine Balance finden zwischen Öffnung und Repression. Gleichzeitig wird der Ausnahmezustand zementiert.

Das äthiopische Parlament hat den von der Regierung vor zwei Wochen verhängten Ausnahmezustand am Freitag bestätigt. Damit bleibt die Notstandsgesetzgebung zunächst für sechs Monate in Kraft. Immerhin ein Fünftel der Parlamentarier stimmte gegen die Vorlage – eine ungewöhnlich hohe Zahl im regierungstreuen Parlament. Lange Jahre erschien die Regierungspartei Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) als homogener Block. In den letzten Monaten hat sich das geändert.

Strassenproteste und patrouillierende Sicherheitskräfte im März 2018 (via @BronwynBruton)

Demonstrationen sind in Äthiopien damit wieder untersagt. Bereits im Oktober 2016 hatte die Regierung einen Ausnahmezustand verhängt, der zehn Monate andauerte. Auslöser waren regierungskritische Proteste gewesen. Menschenrechtsorganisationen zeigen sich enttäuscht über den Parlamentsentscheid. Während des letzten Ausnahmezustandes kam es laut der NGO Amnesty International «zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und gezielte Tötungen».

Neue Politikergeneration weckt Hoffnung

Hinter den Kulissen tobt derweil ein Machtkampf in der Regierungspartei EPRDF. Deutlichstes Symptom dafür war der überraschende Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten und Parteichefs Hailemariam Desalegn vor zwei Wochen. Ihm fehlte offenbar der parteiinterne Rückhalt. Rasch muss nun ein neuer Mann her an der Spitze von Staat und Partei.

Die EPRDF ist eigentlich eine Allianz aus vier Parteien der Ethnien Tigray, Oromo, Amhara und ethnischen Minderheiten aus dem Süden. Federführend sind die Tigray, obwohl sie bloss sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Ihre Dominanz in Politik und Wirtschaft verärgert viele Angehörige der Oromo und Amhara. Sie fühlen sich marginalisiert und gehen auf die Strasse.

Die Partei der Oromo, die OPDO, war von dem Widerstand im eigenen Volk lange nicht angetan. Erst seit kurzem zeigen junge OPDO-Führer mehr Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung. Ein Mann dieser neuen Generation ist Abiy Ahmed, seit dieser Woche neuer Parteivorsitzender und damit Kandidat für das Amt des Staatschefs. Auch die anderen Parteien werden Kandidaten präsentieren. Doch der Süden war mit Desalegn, der der kleinen Gruppe der Wolayta angehört, bereits an der Reihe. Und ein Premier aus den Reihen der Tigray würde den Unmut in Äthiopien wohl noch verstärken. Man darf davon ausgehen, dass der künftige Staatschef Oromo oder Amhara sein wird. Er muss einerseits die Regierungsallianz zusammenhalten, andererseits das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen – eine Herkulesaufgabe.

Aussenminister der USA und Russlands zu Besuch

Das Ächzen im Gebälk des äthiopischen Staates wird auch im Ausland genau beobachtet. Nächste Woche besuchen die Aussenminister der USA und Russlands das Land am Horn von Afrika. Die USA kritisieren den Ausnahmezustand und fordern eine Öffnung des Landes. Beiden Besuchern ist gemein, dass sie in erster Linie an einem stabilen Äthiopien interessiert sind. Das Land ist ein wichtiger Partner im Kampf gegen den islamistischen Terror in der instabilen Region. Es besitzt die zweitgrösste Bevölkerung Afrikas und ist eine regionale Wirtschaftsmacht.

Äthiopien versteht sich als Entwicklungsstaat nach chinesischem Vorbild. Der Staat steuert die Wirtschaft, was in den letzten Jahren zu hohen Wachstumszahlen führte. Dieses Modell sei nun aber an seinem Ende angelangt, meint der Schweizer Politikprofessor Tobias Hagmann, der sich seit Jahren mit Äthiopien auseinandersetzt. «Die politische Repression wurde mit dem Wirtschaftswachstum gerechtfertigt.» Heute gehe es den meisten Menschen zwar besser, doch die Ungleichheit sei noch stärker gewachsen. «Das führt zu sozialen und schliesslich ethnischen Spannungen.»

Äthiopien sucht also einen starken und zugleich sanften Führer. Die Staatspartei muss Reformen angehen, ohne Schwäche zu zeigen. Ein äusserst schwieriges Unterfangen. Doch nur wenn es gelingt, wird sich die aufgebrachte Bevölkerung besänftigen lassen. Vielleicht haben die unruhigen Zeiten in Äthiopien erst begonnen.

Dieser Artikel erschien am 3. März 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung

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