Kenias Präsident und der Oppositionsführer wollen eine Versöhnung anstossen. Das würde dem gespaltenen Land guttun. Doch wie der Plan der beiden Politiker aussieht, ist noch unklar.
Plötzlich ist alles anders. Die eben noch erbitterten politischen Gegner nennen sich vor laufenden Kameras gegenseitig «mein Bruder». Kenias Präsident Uhuru Kenyatta und Oppositionsführer Raila Odinga ziehen einen Schlussstrich unter die politische Konfrontation, welche das Land während Monaten in Atem gehalten hat. Nun rätselt ganz Kenia, was hinter dem versöhnlichen Auftritt der politischen Alphatiere steht.
Der Auslöser dafür kam wohl aus den USA. Das Treffen Kenyatta-Odinga fand vorige Woche nur Stunden vor dem Besuch des inzwischen entmachteten amerikanischen Aussenministers Rex Tillerson statt. Die USA und weitere Staaten hatten seit Wochen Druck ausgeübt. Dennoch hat das Versöhnungstreffen viele überrascht, kaum jemand wusste von den Gesprächen hinter den Kulissen. Odingas Weggefährten in der Opposition konnten ihren Frust darüber nicht verbergen, jemand sprach gar offen von «Verrat». Noch Ende Januar hatte sich Odinga als «Präsident des Volkes» einschwören lassen, weil er den Wahlsieg Kenyattas nicht anerkannte. Die Regierung sprach deswegen von Hochverrat und drangsalierte die Opposition, etwa indem sie Politikern die Pässe abnehmen liess.
Mehr Mitsprache für Opposition möglich
Das Ziel der Annäherung der beiden langjährigen Gegner scheint klar, der Weg aber ist noch nicht definiert. Das Abkommen soll einen Prozess anstossen, mit dem das gespaltene Land vereint wird. Die kenianische Politik ist stark ethnisch geprägt, die Abneigung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist auch im Alltag spürbar. Um die Gräben zu überbrücken, wäre etwa eine Verfassungsänderung denkbar, die der Opposition mehr politische Mitsprache garantiert. Wer heute Wahlen gewinnt, kann danach schalten und walten, wie er will.
Viele Kenianerinnen und Kenianer reagierten erleichtert auf die Annäherung. Nachdem sich die Wirtschaftslage im vergangenen Jahr verschlechtert hat, hoffen sie auf Stabilität und neue Jobs. Oppositionsanhänger sind teilweise enttäuscht und fragen sich, ob sich Odinga habe kaufen lassen. Verschiedene internationale Akteure äusserten sich positiv. Uno-Generalsekretär Antonio Guterres bot Unterstützung beim Versöhnungsprozess an. Die International Crisis Group wertet das Gespräch als «wichtige Wende in einer blockierten Situation». Die NGO fordert aber, dass auch die Polizeigewalt im Wahljahr aufgearbeitet werden müsse. Das ist auch ein Anliegen der Opposition.
Langfristige Versöhnung schwierig
Dem Vernehmen nach hatte Präsident Kenyatta das Treffen angestossen. Er hat in seiner zweiten Amtszeit nichts zu verlieren. Kenyatta ist relativ jung und möchte nicht als Präsident in die Geschichte eingehen, der das Land gespalten hat. Der alternde Oppositionsführer Odinga, der stets mürrisch dreinblickt, setzte mit seiner nationalen Widerstandsbewegung und der parastaatlichen Volksversammlung Druck auf. Doch an sein Ziel, politische Reformen anzustossen, wäre er damit kaum gelangt. Beide Politiker haben zudem wirtschaftliche Interessen. Geht es Kenia nicht gut, leiden die millionenschweren Geschäfte ihrer Familien.
Für Kenia ist das Treffen der beiden langjährigen Feinde zumindest kurzfristig eine erfreuliche Nachricht. Die verhärteten Fronten weichen etwas auf. Politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen Oppositionelle wurden bereits fallengelassen. Auch ihre Pässe erhielten die Oppositionspolitiker zurück. Blutige Zusammenstösse zwischen Oppositionsanhängern und der Polizei gehören vorerst wohl der Vergangenheit an.
Doch gelingt eine Versöhnung langfristig? Im schlechtesten Fall wird der Prozess bis zu den nächsten Wahlen in fünf Jahren keine greifbaren Resultate bringen. Beispiele aus anderen afrikanischen Staaten, etwa der Elfenbeinküste, zeigen, dass nicht eingehaltene Versöhnungsversprechen Teile der Bevölkerung noch frustrierter zurücklassen. Dass der Pakt zwischen Kenyatta und Odinga die ethnisch aufgeladene Politik in Kenia völlig entschärft, ist unwahrscheinlich.
Dieser Artikel erschien am 17. März 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung.