In Nigerias Metropole Lagos fällt oft der Strom aus – aber nicht immer.
Kaum ist man angekommen, geht im Hotelzimmer das Licht aus. Auch die Klimaanlage läuft nicht mehr. Es bleibt nichts anderes übrig, als in der Dunkelheit zu warten.
Stromausfälle gehören in Nigeria zum Alltag. Das Hotelzimmer im gehobenen Quartier Victoria Island der Millionenstadt Lagos war nicht gerade günstig, trotz abgeschabtem Teppich und bröckelndem Badezimmer. Und nun sollte eigentlich der Generator anspringen. Doch nichts geht.

In Lagos brummen ständig Generatoren. Es ist so gut wie unmöglich, eine ruhige Ecke zu finden. Entweder dröhnt die Strasse oder die Stromversorgung. Der Strommangel macht Lagos zu einer der teuersten Städte Afrikas. Zwar hat Nigeria Erdöl in grossen Mengen, doch die wenigen Raffinerien reichen bei weitem nicht, um den Eigenbedarf an Treibstoff zu decken.
Im klimatisierten Café um die Ecke kostet der Espresso fünf Franken. Das ist mehr, als 90 Prozent der Einwohner Nigerias an einem Tag verdienen. Den Espresso leisten sich vor allem die Angestellten der in Nigeria ansässigen Konzerne. Die Anzugträger müssen ihre klimatisierte Blase fast nie verlassen. Ihr Fahrer führt sie über die vielen Brücken, wo sich der Verkehr staut, und zwischen Imbissständen hindurch.
An den Ständen am Strassenrand kann man sich für fünfzig Rappen Indomie-Nudeln zubereiten lassen – Nigerias beliebteste Fertigmahlzeit. Noch günstiger ist das Essen im Makoko-Slum, der auf Pfählen ins Meer hinaus gebaut ist. Reis mit scharfer Tomaten-Fischsauce treibt zusätzlichen Schweiss auf die Stirn.
Abends wabern Rauchfetzen von den vielen Kohlefeuerstellen über den Holzhütten von Makoko. Die Bewohner blicken auf die Lichter der Autos auf der Umfahrungsbrücke, die wenige hundert Meter vor dem Slum übers Meer führt, um die Anzugträger schneller nach Hause zu bringen. Die eine Blase ist kühl und teuer, die andere heiss und stickig. Lagos ist ein Ort der Gegensätze.
Im Hotelzimmer ist es nach einer Viertelstunde noch immer dunkel. Doch wieso brennt das Licht im Gang? Ein Geistesblitz: Die Schlüsselkarte fürs Zimmer liegt auf dem Nachttisch. Sie gehört aber in den Schlitz neben der Tür. Und es ward Licht.
Dieser Text erschien in der Neuen Zürcher Zeitung am 18. September 2018.