Vintage Addis Ababa: Fröhliche Bilder aus Zeiten von Konflikt und Hunger in Äthiopien

Feste, Ausflüge, Alltagsleben – ein neues Fotobuch zeigt ein anderes Bild der Geschichte Äthiopiens. Es wurde von einem Schweizer mitinitiiert.

Genet Bekele war eine rebellische junge Frau. Als Teenager traf sie sich oft heimlich mit Freunden. Ein Foto zeigt Bekele, wie sie den Uni-Abschluss einer Freundin feiert. «Mein Vater hat dieses Foto nie gesehen», erzählt die 62jährige. Er wusste nichts von Festen und Ausflügen der Tochter, oft wurde Bekele von ihrer Mutter gedeckt.

Genet Bekele (2.v.r.) feiert den Uni-Abschluss einer Freundin in den 1970ern. Das Foto hielt sie vor ihrem Vater versteckt – sie hätte nicht ausgehen dürfen. (Bilder: Vintage Addis)

Später engagierte sich die junge Äthiopierin im Widerstand gegen das sozialistische Derg-Regime. Ausgerechnet ihr Freund hingegen arbeitete für die Regierung. «Wir haben ständig politische Diskussionen geführt», erinnert sie sich. Der Liebe konnte das nichts anhaben, wie das Hochzeitsbild von 1978 bewiest.

1978 heiratet Genet Bekele. Ihr Mann diente dem marxistischen Regime. Sie war kurz zuvor noch im Gefängnis, weil sie an Anlässe der Opposition gegangen war. Ständig stritten sie über Politik, und trotzdem liebten sich die beiden.

 

Die Bilder sind im Fotoband «Vintage Addis Ababa» veröffentlicht, zusammen mit vielen anderen privaten Fotos. Initiiert wurde das Buch vom Schweizer Philipp Schütz. «Ich wollte Bilder zeigen, die man so noch nicht gesehen hat», erzählt Schütz. «Es sind Alltagsbilder, die zu aussergewöhnlichen Zeiten passiert sind.» Äthiopien durchlebte ein bewegtes 20. Jahrhundert. Kaiser Haile Selassie verhinderte erst die Kolonialisierung und wurde dann Mitte der 1970er Jahre von Sozialisten gestürzt. In den 80ern war Äthiopien vor allem wegen Hungersnöten in westlichen Medien präsent.

 

Terefe Asmare unternahm oft Ausflüge mit seinem Mazda 818, wie hier an den Langano-See. Da das Benzin rationiert war, musste er seinen Freunden Benzincoupons abkaufen.

Die privaten Fotos bilden einen Kontrast zum oft gesehenen Bild Äthiopiens als Ort von Hunger und Konflikten. So etwa posiert Terefe Asmare in hochgezogenen weissen Socken vor seinem blauen Mazda. Der junge Mann unternahm gerne Ausflüge ins Landesinnere. Beim Camping genoss Asmare Freiheiten, die es in der Hauptstadt nicht gab: Lagerfeuer, Discos, Alkohol. Da der Treibstoff rationiert war, musste Asmare von Freunden Benzincoupons abkaufen, um überhaupt aus Addis Abeba rauszukommen.

 

Dieselben Hoffnungen und Träume

Diese Alltagsgeschichten hat Philipp Schütz zusammen mit seinen Kolleginnen Wongele Abebe und Nafkot Gebeyehu gesammelt. Oft gehen Bilder in Afrika irgendwann verloren, Archive gibt es kaum. Via soziale Medien suchten der Schweizer und die Äthiopierinnen Fotos, sprachen aber auch ältere Menschen in Cafés an. Über 2000 Bilder kamen zusammen, viele veröffentlicht auf der Website vintageaddis.com. Dank Spenden von Privaten und internationalen Organisationen entstand daraus nun das Buch «Vintage Addis Ababa».

Äthiopiens Fussballteam gewann 1962 zuhause den Afrikacup. Nationalspieler Leulseged Bekele gibt den Rhythmus an auf dem Akkordeonkasten.

Er habe viel gelernt über das Land, so Grafiker und Fotograf Schütz. «In den sechs Jahren in Äthiopien war dies wohl meine bisher beste Erfahrung.» Der Bildband feierte im November Vernissage, eine Ausstellung mit den Fotos wird nun durch Schulen in Äthiopien touren. So werden auch junge Äthiopier erreicht. Seine Kollegin Abebe sieht durchaus Parallelen zum heutigen Leben: «Menschen versuchen stets, das Leben zu geniessen. Damals wie heute haben sie dieselben Hoffnungen und Träume.»

Eine junge Frau lehnt sich aus dem Fiat 850 ihres Ehemannes, vermutlich in den 1960ern.

Dieser Beitrag wurde am  …. in der Tagesschau von Fernsehen SRF ausgestrahlt. Das Buch ist in einer Zürcher Buchhandlung und auf Amazon erhältlich.

 

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