Die Sicherheitsindustrie Kenias beschäftigt Hunderttausende. Ihre Grundlage ist das Versagen des Staates. Doch Terroranschläge kann sie kaum verhindern.

«Ich habe damit gerechnet, dass das passieren kann. Deshalb war ich vorbereitet.» Der Schweizer Serge Medic ist in Nairobi nie ohne Pistole und Notfallausrüstung unterwegs. Er führt eine eigene Sicherheitsfirma. Medic war bei dem Anschlag auf den Büro- und Hotelkomplex «14 Riverside» Mitte Januar zufällig in der Nähe und einer der Ersten vor Ort. «Zuerst ging ich von einem Raubüberfall aus.» Medic betrat mit gezückter Pistole das Gelände. Als er erst eine Granate entdeckte, dann einen abgerissenen Arm, wurde ihm bewusst: Dies ist kein normaler Überfall.
Später half Medic, Menschen aus dem angegriffenen Gebäudekomplex zu bringen, und geriet dabei unter Beschuss der Terroristen. Das Bild des Schweizers mit dem grauen Rossschwanz und der braunen Weste war in Kenia nach dem Terroranschlag omnipräsent. «Wir sind stolz auf Sie», sagt die Kellnerin, nachdem sie seine Bestellung aufgenommen hat.
Wachleute ergriffen die Flucht
Der Gebäudekomplex, in welchem die Terroristen 21 Menschen töteten, war streng bewacht. Autos wurden am Eingang kontrolliert, Menschen passierten Metalldetektoren. Als Medic eintraf, waren keine Wachleute mehr zu sehen. Die unbewaffneten Männer hatten die Flucht ergriffen.
Sicherheitskontrollen gehören in Nairobi zum Alltag. Wer sich in Einkaufszentren, Hotels und Restaurants aufhält, wird täglich durchsucht. Tasche, Handschuhfach, Kofferraum – alles muss geöffnet werden. Büros und Häuser in besseren Quartieren sind Tag und Nacht bewacht. Neben der Terrorgefahr ist die Kriminalität in Nairobi der Grund dafür, es kommt immer wieder zu bewaffneten Überfällen.
Mehr Sicherheitskräfte nach Terrorangriff
Seit der Riverside-Attacke sieht man in Nairobi mehr Polizisten und Wachleute. Der Chef von Ismax Security, Abdirahman Mohamed, bestätigt die gestiegene Nachfrage: «Unsere Kunden wollen zudem die Technologie aufrüsten.» Überwachungskameras, Metall- und Sprengstoffdetektoren seien besonders gefragt. Ismax Security ist eine von rund 800 aktiven Sicherheitsfirmen in Kenia. Die Industrie biete eine halbe Million Arbeitsplätze, schätzt Mohamed. Er hat 2013 mit 200 Angestellten begonnen, mittlerweile beschäftigt die Firma 1000 Personen. Die Sicherheitsindustrie ist eine der wichtigsten Branchen im Land. Ursprünglich fokussierten die Firmen auf Kriminalität, welche die Polizei nicht in den Griff bekam.
Spätestens seit dem Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi 2013 ist auch die Vermeidung von Terroranschlägen eine Aufgabe der Sicherheitsfirmen. Doch kann man sich vor Terror effektiv schützen? Serge Medic arbeitet im Personenschutz, die Bewachung von Gebäuden ist nicht seine Sache. Die Wachleute nützten durchaus, sagt er: «Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, sinkt. Doch ganz verhindert werden kann es natürlich nicht.»
Debatte über stärkere Bewaffnung
Ein grosses Problem ist die Qualifikation und Motivation der Sicherheitsleute. Die Kontrollen sind oft mangelhaft. Ein lokales Fernsehteam demonstrierte jüngst, wie einfach es ist, eine Pistole in ein Einkaufszentrum zu schmuggeln. Nachtwächter hört man gelegentlich schnarchen. Dies überrascht nicht, denn die Löhne sind tief. Viele Nachtwächter arbeiten zusätzlich am Tag. «Der Mindestlohn für einen unbewaffneten Wachmann beträgt rund 140 Franken im Monat. Soll man dafür sein Leben riskieren?» Medic schüttelt den Kopf.
Nach dem Riverside-Anschlag wird in Kenia über die vermehrte Bewaffnung privater Sicherheitsleute diskutiert. Eine gute Idee, findet Firmenchef Mohamed. «Die Regierung will künftig weniger Polizisten zur Verfügung stellen, um Gebäude zu bewachen. Also müssen wir in die Lücke springen.» Doch Waffen bergen Risiken. Bewaffnete Sicherheitsleute müssen ausgewählt und ausgebildet werden. Zudem sollte ihr Lohn entsprechend angehoben werden, sonst steigt die Verlockung, die Waffe zu missbrauchen. «Das alles wäre kein einfaches Unterfangen», sagt Medic.
Terrorangriffe sind gut für das Geschäft der Sicherheitsfirmen. Die Nachfrage nach ihren Diensten steigt. Doch die Sicherheit kann trügerisch sein.
Dieser Artikel erschien am 15. Februar 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung.