Verbotene Liebe in Nairobi

Kenia könnte gleichgeschlechtlichen Sex legalisieren. Die Kirchen wehren sich, für sie ist es unafrikanisch, und «ein gefährliches Experiment». Die Schwulen und Lesben möchten endlich ohne Angst leben können.

Szene aus dem Film «Rafiki».

Die Luft ist stickig, die Musik laut, die Stimmung gut. Kamau umarmt einen alten Freund. «Das ist George», erzählt er, «er ist verheiratet und hat zwei Kinder.» George und Kamau, die ihren richtigen Namen nicht preisgeben möchten, sind homosexuell, wie die meisten Gäste im Klub im Zentrum Nairobis. Der Raum ist voll, die jungen Leute geniessen die Samstagnacht. Zwei Frauen küssen sich innig. Einige Männer tanzen eng zum Reggae-Beat.

«Das ist ein sicherer Ort», sagt Kamau. Niemand müsse sich in dem Klub davor fürchten, dass seine sexuelle Neigung ein Problem werden könnte. Gleichgeschlechtliche Liebe ist in Kenia verboten. Doch hier können Zimmer gemietet werden für den Fall, dass sich eine Bekanntschaft konkretisiert.

Heutzutage besucht Kamau üblicherweise eher ruhigere Lokale. Der Anwalt ist 35-jährig. Dass er schwul ist, merkte er vor über zwanzig Jahren. Seine Eltern wüssten es ebenfalls, «doch gesagt habe ich es ihnen nie». Vom Klub führt er in eine schicke Bar, in der sich gesetztere Herren treffen. Kamau begrüsst einen Bekannten mit graumeliertem Bart. «Wenn ich fünfzig bin, will ich auch noch so gut aussehen», sagt er. Die Männer rauchen und trinken, getanzt wird kaum. «Bist du Frischfleisch?», fragt einer den Journalisten. Gemeint ist: Bist du neu in Nairobi? Die Szene in der Millionenstadt ist überschaubar.

Bis zu vierzehn Jahre Gefängnis

So sorglos, wie es scheint, ist der Alltag für viele Schwule und Lesben in Kenia nicht. Auf gleichgeschlechtlichen Sex stehen in dem ostafrikanischen Land bis zu vierzehn Jahre Gefängnis. Das Strafgesetz stammt aus dem Jahr 1930, aus der britischen Kolonialzeit. Es ist dem indischen Gesetz nachempfunden, das 1860, also zur Zeit von Königin Victoria, geschrieben worden war. Indien hat den Homosexuellen-Artikel vergangenes Jahr aus dem Gesetz gekippt.

Das will auch Eric Gitari erreichen. Der schwule Aktivist zog deswegen vor Gericht. Das alte Strafgesetz widerspreche der modernen Verfassung Kenias, ist Gitari überzeugt. Der High Court wird am Freitag über den Fall befinden. «Das Strafgesetz rechtfertigt Diskriminierung von Schwulen und Lesben und Gewalt gegen sie», sagt Gitari. Wer aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt wird, findet bei der Polizei oft keinen Schutz – im Gegenteil: Nachdem im Jahr 2015 in einem Küstenort Kenias Bilder von Schwulensex in sozialen Netzwerken zu zirkulieren begannen, machten sich wütende Mobs auf die Suche nach den Männern. Ein Opfer landete mit Schnittwunden im Spital. Wenige Tage später nahm die Polizei den Mann fest und liess eine Rektaluntersuchung durchführen, um feststellen zu können, ob er tatsächlich Sex mit anderen Männern gehabt habe.

«Ein gefährliches Experiment»

«Wir sind glücklich mit dem jetzigen Gesetz, es beschützt Familie, Religion, Gesellschaft und Kinder», sagt Charles Kanjama. Der Anwalt vertritt vor Gericht die Kirchen Kenias, die als «interessierte Partei» am Verfahren teilnehmen dürfen. Homosexualität sei unafrikanisch, zitiert Kanjama ein auf dem Kontinent oft gehörtes Argument. Dass westliche Länder Homosexuelle gleich behandeln wie Heteros, ist für Kanjama unverständlich. «Wir in Afrika glauben, dass der Westen mit der Legalisierung von gleichgeschlechtlichem Sex ein gefährliches Experiment unternimmt.»

Doch ist nicht auch die Religion, die sich gegen Homosexualität stellt, nach Afrika importiert? Kanjama wiegelt ab: «Es gibt viele westliche Dinge, die gut sind. Aber einige müssen wir zurückweisen.» Und das Argument, dass Homosexualität schon immer existiert habe, auch in Afrika, lässt der Anwalt ebenfalls nicht gelten. Es habe in der Geschichte auch immer Morde gegeben – das bedeute aber noch längst nicht, dass es gut sei, Menschen zu töten.

«Die Kirchen sind korrumpiert»

«Es ist eine religiöse Hysterie», sagt Paul Muite. Der 74-jährige Menschenrechtsanwalt ist im Gerichtsfall Kanjamas Gegenspieler. Muite, der früher selbst in der anglikanischen Kirche aktiv war, kritisiert die Kirchen. «Die religiösen Institutionen haben den moralischen Kompass verloren.» Die Kirchen in Kenia und in anderen afrikanischen Ländern würden mit korrupten Politikern gemeinsame Sache machen, statt mit dem Finger auf diese zu zeigen. Die Minderheit der Homosexuellen hingegen sei ein idealer Sündenbock. Für die deutliche Mehrheit der Kenianer ist Homosexualität etwas Schlechtes. «Dagegen zu sein, ist eine sichere Wette», so Muite. In Kenya können sich bloss 14 Prozent der Bevölkerung vorstellen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schwulen oder Lesben zu leben. Im gesamtafrikanischen Durchschnitt sind es 21 Prozent, heisst es in einer Umfrage.

Homosexualität ist in 29 Ländern Subsahara-Afrikas illegal. Im Sudan, in Mauretanien, im islamischen Norden Nigerias und im Süden Somalias steht darauf sogar die Todesstrafe. In 20 Staaten ist Homosexualität erlaubt, Südafrika lässt gar die Homo-Ehe zu. Ganz langsam geht der Trend auch in Afrika in Richtung Liberalisierung. Angola und Moçambique haben in den vergangenen Jahren homosexuelle Handlungen entkriminalisiert.

Doch die Gesetzeslage entspricht oft nicht der Gefühlslage von Bevölkerung und Politikern. Unlängst gründete ein Lokalpolitiker in Tansania ein Team, um Schwule aufzuspüren. Als es internationale Proteste gab, wurde die Sache abgeblasen. Oft folgen solche Ereignisse dem Muster: Ankündigung, Entrüstung, Nichtumsetzung. Bei den Wählern haften bleibt trotzdem das Bild des anpackenden Politikers.

Die Jungen sind mutiger

Die gesellschaftliche Homosexualitätsdebatte wurde in Kenia jüngst durch den Film «Rafiki» («Freundin») angestossen. Die Zensurbehörde hatte die Vorführung der Romanze zweier junger Frauen zuerst verboten. Später hob ein Gericht das Verbot wieder auf. Der Kinobesuch wurde für Hunderte junger homosexueller Kenianerinnen und Kenianer zu einer Manifestation. Plötzlich wurde dieser oft versteckte Teil von Kenias Gesellschaft sichtbar. «Viele Junge haben genug davon, heimlich in Angst zu leben», so Aktivist Gitari, «sie sind mutiger als unsere Generation.»

Die 24-jährige Caroline – auch sie möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen – sah sich «Rafiki» mehrmals an. «Zum ersten Mal fühle ich mich im Kino repräsentiert», erzählt sie. Wie die Familie im Film reagierte auch die von Caroline negativ, als sie ihre Homosexualität offenlegte: «Mein Vater betet dafür, dass ich doch noch einen Mann finden werde.» Sexualität ist in ihrer Familie tabu, lange begriff sie nicht, was sie gegenüber Frauen empfand. Erst durch soziale Netzwerke lernte sie Gleichgesinnte kennen. Den Kontakt zur Familie brach Caroline ab: «Es tut weh, doch es ist wohl für alle besser so.»

Hoffnung auf progressive Richter

Die Richterin begründete ihren Entscheid, dass «Rafiki» gezeigt werden dürfe, übrigens damit, dass der Film die moralischen Fundamente Kenias nicht erschüttern könne. Kenias Richter gelten als relativ progressiv. Im vergangenen Jahr erklärte ein Gericht Rektaluntersuchungen für illegal. Ein anderes Gericht befand, der Staat dürfe einer schwul-lesbischen Organisation die formelle Registrierung nicht verweigern. «Ich bin vorsichtig optimistisch», sagt darum Aktivist Eric Gitari mit Blick auf das anstehende Urteil.

Der Gerichtsentscheid des High Court kann noch an zwei höhere Instanzen weitergezogen werden: den Court of Appeal und dann den Supreme Court. Die Anwälte rechnen damit, dass der Fall vor dem Supreme Court enden wird – das kann also nochmals einige Jahre dauern.

Jeder Entscheid für eine Legalisierung von Homosexualität in Afrika hat eine gewisse Signalwirkung. Auch wenn die gesellschaftliche Debatte schlussendlich in jedem Land separat geführt wird. Der Kampf afrikanischer Schwulen und Lesben um die Akzeptanz in der Gesellschaft wird so oder so weitergehen.

Dieser Text erschien am 19. Februar 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung.

Wer bis hier gelesen hat, interessiert sich wohl auch für meinen letzten Ausflug in die Schwulenszene, vor 7 Jahren in Ghana: «Schwule sind wie Tiere»

Den Radiobeitrag zum Film «Rafiki» gibts hier: Lesbische Liebe und Sex unterm Deckel in Kenia

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